Wiesenbaukultur :

Wiesenbaukultur
Im Oktober 1943 veröffentlichte der Wiedersteiner Dorfchronist Emil Meier in der Zeitung
nachstehende Ausführungen:
Gerade in den kleinen und ländlichen Gemeinden wird noch an den von den Vorfahren
übernommenen Überlieferungen festgehalten, und da, wo noch Landwirtschaft nebenbei
betrieben wird, kommen diese alten Überlieferungen erst recht zur Geltung. So auch im Herbst. Wenn nämlich die Ernte- und Feldbestellarbeiten beendet, d. h. die Kartoffeln geerntet, das Korn gesät, die Felder geackert und gedüngt sind, dann beginnt das Grabenmachen auf den Wiesen. Die größten Be- und Entwässerungsgräben werden gewöhnlich in den einzelnen Distrikten des Wiesenverbandes gemeinsam aufgemacht.
Der Wiesenvorsteher lässt zu diesem Zwecke durch die Ortsschelle bekanntmachen,
dass an einem festgesetzten Tage zu bestimmten Stunden die Wassergräben in diesem oder jenem Bezirk aufgemacht werden. Die Wiesenbesitzer des jeweiligen Bezirkes sind da verpflichtet, sich an dieser gemeinschaftlich auszuführenden Arbeit zu beteiligen. Die Wiesenbesitzer, die an der Arbeit nicht teilnehmen, müssen ihrer Rutenzahl entsprechend einen Betrag zahlen. Für die übrigen Gräben seiner Wiesen ist jeder Besitzer selbst verantwortlich. Für jeden ordnungsliebenden Bewohner, der einem Versumpfen der Wiesen vorbeugen und einen möglichst hohen Ertrag erzielen will, ist das „Gräben“ seiner Wiesen eine selbstverständliche Sache. Zu den Arbeiten sieht man die Männer, aber auch Frauen und Mädchen, mit Hacke, Schaufel und Wiesenbeil hinausziehen. Die Freiengründer
sind ein fleißiges Völkchen und jeder ist darauf bedacht, seine Grundstücke in möglichst gutem Zustand zu erhalten.

 

Die Wiesenbauschule in Siegen

Von den ehemals vier preußischen Wiesenbauschulen war die 1853 in Siegen gegründete
nicht nur die älteste, sondern wohl auch die bekannteste. Schließlich hatte der
Wiesenbau, oder wie es ursprünglich hieß, die Wiesenmelioration (= Verbesserung der Wiesen) im Siegerland bereits eine mehrere hundert Jahre umfassende Tradition. Schon im Jahre 1534 wird die künstliche Wiesenbewässerung urkundlich erwähnt. Die Bewirtschaftung der Rieselwiesen wurde im Siegerland, ähnlich wie im Hauberg, von mehr als 200 Wiesenverbänden geregelt. Durch eine grundlegende Wiesenordnung von 1790 wurde der Wiesenbau sehr gefördert. Die Wiesenbesitzer mussten Maulwurfshaufen
beseitigen und „wie es einem Landwirte gebührt, auf die Wiese ebenso wie auf dem Acker von Zeit zu Zeit den gehörigen Dünger, besonders Asche, gute Erde, auch schicklichen Mist aufbringen”, außerdem „die unnützen oder gar schädlichen Kräuter ausrotten” und entblößte Flächen neu besamen. Zur Entwässerung sumpfiger Wiesen mussten „tüchtige, fünf bis sechs Fuß tiefe Abzugsgräben” angelegt werden, als „Steindräne” mit Steinen angefüllt und mit Moos und Erde wieder abgedeckt werden. Leitender Gedanke des Kunstwiesenbaus war es, durch geeignete Maßnahmen der Be- und Entwässerung sowie der Düngung und Schädlingsbekämpfung den Ertrag von landwirtschaftlichen Nutzflächen, der Wiesen zu steigern. Aufgrund der ungünstigen topografischen (hügeligen) Struktur des Siegerlandes und seinen wegen des schier unersättlichen Bedarfs der Eisenhütten an Holzkohle sehr ausgedehnten Wäldern, war die hiesige Bevölkerung, zum Großteil Bergleute und Hüttenarbeiter, die ihren Lebensunterhalt zu einem nicht unwesentlichen Teil durch Nebenerwerbslandwirtschaft bestritten, darauf angewiesen, die wenigen zur Verfügung stehenden Weideflächen optimal zu nutzen. Es lag daher nahe, die Meliorationstechniken, die bis dahin nur wenigen im Wiesenbau erfahrenen Männern vorbehalten waren, einem größeren Kreis der Bevölkerung zugänglich zu machen. Die Wiesenbauschule ging 1853 aus einer 1843 gegründeten landwirtschaftlichen Sonntagsschule hervor. Der Unterricht mit nur wenigen Schülern wurde anfänglich in den Räumen der (alten) Realschule, der späteren evangelischen Knabenschule erteilt und fand zunächst weiterhin nur an Sonntagen statt. Die Ausbildung dauerte 4 Jahre. Zu den Unterrichtsschwerpunkten der Schule gehörten neben der Ausbildung im praktischen
und theoretischen Wiesenbau, im Feldmessen und Nivellieren sowie in Fächern wie Botanik, Physik, Chemie und Bodenkunde, vor allem eine gründliche Schulung im
Planzeichnen. 1886 erfolgte eine Reorganisation des seit 1853 im wesentlichen unveränderten Lehrplans, um die Ausbildung zu intensivieren und der technischen Entwicklung Rechnung zu tragen. Aus den bisherigen 2 Klassen mit je zweijähriger Dauer wurden 4 Klassen mit einjähriger Dauer. Neu hinzu kam die so genannte Meisterklasse zur Ausbildung von berufsmäßigen Wiesenbaumeistern. Die Unterrichtszeiten wurden bis 1895 nach und nach auf 4 Tage pro Woche ausgedehnt. Die Zahl der Schüler stieg auf ungefähr 200 an, was 1897 einen Umzug in das neue Schulgebäude am Häusling notwendig machte. Von nun an war die Schule überregional ausgerichtet. 1901 wurde der Lehrgang „Wegebauschule” eingerichtet, der Name zu Wiesen- und Wegebauschule erweitert. In der Folgezeit wich der Wiesenbau alter Prägung mehr und mehr der modernen Wasserwirtschaft mit ihrer Betonung größerer Anlagen und Ingenieurbauten wie Brücken, Straßen, Kanälen, Abwasserreinigung. 1928 wurde die Schule als Kulturbauschule Wegebauschule anerkannt und entsprechend benannt. Der traditionsreiche Namensbestandteil „Wiesen” entfiel. Von da an wurde täglicher Unterricht erteilt.
Durch den 2. Weltkrieg ging ein großer Teil der geleisteten Aufbau-Arbeit verloren, mit
dem Verlust der Ostgebiete waren auch die Stellen für Wiesenbauer nicht mehr verfügbar
und diese mussten im Westen neu beginnen, meist in verwandten Fächern wie dem
Bauingenieurwesen. Dementsprechend änderte sich auch das Ausbildungskonzept vom
Wiesen- zum Ingenieurbau. Als dann 1972 die neue Fachhochschule Siegen-Gummersbach
gegründet wurde, lag es auf der Hand, die inzwischen staatlich gewordene Ingenieurschule
dort zu integrieren, und nur ein Jahr später wurde sie zu einem Teil der neu gegründeten Gesamthochschule Siegen, die 1980 Universitätsrang erhielt.

(Quellen: Die Wiesenbauschule Siegen, Informationsseite zur Jubiläumsausstellung
in der UB Siegen 1997, von Dr. Rudolf Heinrich
Der Siegerländer Wiesenbau www.ahlering.de)