Die alte Eisenhütte :

Die alte Eisenhütte
Eine Jugenderinnerung von R. Jung, aufgeschrieben 1937


„Aus der Jugendzeit klingt ein Lied mir immerdar” – ein Lied gewerblichen Fleißes,
ein Klang sorglosen Kinderglücks. Das alles schwebt um die alte Eisenhütte, fast in
der Mitte Wiedersteins, die in ihrer wenig geschmackvollen Form dem Dörfchen keineswegs
zur Zierde gereichte. Soweit gehen meine Kindererinnerungen nicht zurück,
dass sie mir das Bild der Hütte nach ihrer ursprünglichen Gestalt malen könnten. Das
Hauptstück der Anlage aber war der Ofen, nach alter Bauart stand er als Mauerwerk
ca. 10 Meter hoch im unregelmäßigen Viereck. Dass seine unteren Teile Gestelle und
Rast genannt wurden, sein mittlerer Teil Schacht hieß, wusste ich als Kind noch nicht.
Doch war mir der obere Teil, die Gicht, bekannt, die ehemals offen gewesen sein sollte
und aus der Gase und Rauch aufgestiegen waren.

Dorfmitte mit Eisenhütte und Hammer nach einer Vermessungskarte von 1836
Dorfmitte mit Eisenhütte und Hammer nach einer Vermessungskarte von 1836

Das Hüttengebäude war aus Holz mit Fachwerk und trug noch ein Strohdach. Es deckte
die Halle, in der das aus dem Ofen abgelassene flüssige Eisen in die Sandform
lief, und den Raum, in welchem das große Wasserrad durch die vier Kämme seiner
Achse die Deckel der großen Bälge niederdrückte, die dann von den Wippen wieder
aufgezogen wurden. Diese Gebläseeinrichtung war aber nicht mehr zeitgemäß. Den
Hüttenplatz umstanden nach zwei Seiten die von außen und innen schwarzen Kohleschuppen, und auf dem Platz lagerten die zur Beschickung des Ofens benötigten
Materialien. Ein mit Stroh gedecktes Häuschen, wohl die Arbeitsstätte der ehemaligen

Hüttenleitung, des Hüttenschultheißen, stand in geringer Entfernung von den Hüttengebäuden; unmittelbar an die letzteren angelehnt aber war das Flutbett des lang gezogenen Hüttenweihers, dessen Wasser weither aus dem Bache geholt wurde, der
das Tal durchfließt. Der Weiher aber war fast ganz zugewachsen mit Schachtelhalmen
und Binsen und in dieser Wasserwüste hauste ein unzähliger Chor von Fröschen. Ihre
Lenzgesänge waren von wunderbarer Wirkung und klingen mir noch heute in den Ohren.
Das Hüttengelände lag, wie schon gesagt, dicht am Dörfchen, man kann sagen in
diesem, und hatte wohl ursprünglich eine freiere Lage. Als aber die breite Landstraße
durchs Dörfchen geführt wurde, berührte diese das Hüttengelände und setzte nicht nur
die Hütte, sondern auch drei nahe stehende Häuser sozusagen in den Dreck, von dem
es in der nächsten Nähe der Hütte sowieso genug gab. Meine Erinnerungen nahmen
festere Formen an, als ich in den siebziger Jahren (gemeint sind die 1870er Jahre),
nachdem die Hütte, die aus gewerkschaftlichen Händen in Privatbesitz übergegangen
war, durch neuzeitliche Einrichtungen einen Umbau erfuhr. Es verschwand ein Teil
der Kohleschuppen, eine hohe Mauer wurde aufgeführt, die den Hüttenplatz in einen
oberen und einen unteren Teil trennte. Die Hütte erhielt statt des alten Balggebläses
ein Zylindergebläse, das durch eine Dampfmaschine in Betrieb gesetzt wurde.

Eines der ältesten Fotodokumente von 1875 zeigt das Gelände des ehemaligen Eisenhammers (Bildmitte), hier jedoch schon mit Puddlingswerk und Leimsiederei
Eines der ältesten Fotodokumente von 1875 zeigt das Gelände des ehemaligen Eisenhammers (Bildmitte), hier jedoch schon mit Puddlingswerk und Leimsiederei

Die Ofengase wurden aufgefangen und mussten zur Erhitzung der eingeblasenen Luft dienen. Ein hoher, eiserner Schornstein kam zur Aufstellung, der je nach der Windrichtung
das Dorf verqualmte. Da die Hütte von den nächsten Bahnhöfen und Eisensteingruben
eine Stunde weit entfernt lag, so mussten alle Zu- und Abgänge auf der Achse
befördert werden. Da war ein regelmäßiger Fuhrverkehr notwendig, und die armen
Zugtiere wurden stark geplagt, erfuhren auch öfter durch rohe Fuhrherren eine harte
Behandlung. Die Zugviehplage war besonders stark, wenn die Straße neu beschottert
war. Es gab noch keine Straßenwalze, die die Schotterdecke festigte, das musste der
Fuhrverkehr nach und nach selbst bringen. Die Behandlung der Zugtiere hat schon in
meiner frühen Jugend in mir das Mitleid mit der Tierwelt begründet. Das Abfahren und Anhäufen der aus dem Hochofen abfließenden Schlacken forderte sehr viel Zeit und auch Raum. So ging man denn auch zur Sandgewinnung über, leitete zu dem Zwecke die flüssige Schlacke in kaltes Wasser und ließ den entstehenden Sand durch ein Paternosterwerk auf ein anliegendes Grundstück schaffen, wo sich nun bald eine hohe Sandhalde den Blicken bot. Dem Nachbar Schuhmachermeister wurde dadurch die Aussicht von seiner Werkstatt aus in Wiese, Berg und Wald zuletzt gänzlich genommen. Der stille fromme Meister aber sagte: „Es bleibt mir nur der Aufblick nach oben.”
Aus dem bisher Gesagten ist zu entnehmen, dass der Hüttenbetrieb für manche Dorfbewohner, zumal für die nächsten Anlieger, allerlei Unannehmlichkeiten mit sich brachte. Staub, Rauch, Gasluft belästigten sie oft, dazu kamen die Störungen durch den
Lärm bei Tag und Nacht, auch die Gefahren für die Kinder. Es hätte mancher Hausbesitzer
gerne sein Anwesen anderswo hingetragen, wenn er gekonnt hätte. Trotzdem bildete die Hütte einen Anziehungspunkt für alle. Das Dorfleben spielte sich um die Eisenhütte ab, für die Kinder zumal, aber auch für die Alten. Im Übrigen war die Hütte eine von den kleinsten im Kreis Siegen. Als die Hütte noch gewerkschaftliches Unternehmen war, standen manche Hausväter mit dieser in geschäftlicher Verbindung. Als Gewerke, als Hüttenbeamte, als Lieferanten und Abnehmer waren sie am Hüttenbetrieb interessiert. Dazu waren in meiner Jugendzeit eine Anzahl junger und älterer Leute als Arbeiter beschäftigt. Auch einige von auswärts gekommene Leute waren unter ihnen, die bei Dorfleuten in Kost und Logis gingen. Bestand so ein altes Band zwischen der Hütte und den Dorfbewohnern, so war dieses auch jetzt noch nicht abgerissen. Das Leben ging noch nicht seinen Gang so hastig
wie heute (im Jahr 1937), die Menschen hatten noch mehr Zeit und wo war besserer
Zeitvertreib zu finden als auf der Hütte? An den Sonntagnachmittagen, an den
Feierstunden der Wintertage, bei ungünstiger Witterung, wenn einem im Hause die
Langeweile plagte, was sollte man tun? Man ging auf den Hüttenplatz. Ein Eckchen
zum Zusammenstehen, zum Schauern und Wärmen, zum Politisieren und Schwätzen,
aber auch zum vernünftigen Raten und nicht zuletzt zum Rauchen fand sich immer.
Etwas Neues zu sehen oder zu hören gab es auf der Hütte. Eine besondere Anzie-hungskraft übte das Ablassen des Hochofens aus. Wenn ein Stück gar geblasen war,
was alle 6-8 Stunden eintrat, und nun das flüssige Eisen in die länglichen Sandformen
lief, waren selten, außer zur Nachtzeit, keine Zuschauer anwesend. Die Hütte
war der Sammelplatz der älteren und alten Mannsleute, die jungen aber hatten, und
haben es wohl heute noch, ihren Antritt auf dem Kanal, das ist der Kreuzungspunkt
der Landstraße mit dem lang gezogenen Dorfweg ins Langeholz; er liegt auch an der
Hütte. Der Jugend war das Betreten des Hüttengeländes allerdings verboten, doch
half man den Fuhrleuten beim Abladen der Steine und des Koks, wobei man vom
Wagen einen Groschen verdiente und mitunter auf der Rückfahrt eine Strecke weit auf
dem spitzrückigen Gaul reiten durfte. Der Vater, Onkel oder Bruder war auf der Hütte
beschäftigt, da fand man beim Essen- und Kaffeetragen Gelegenheit, ins Innere der
Hütte einzudringen, was selbst der gestrenge Wiege- und Platzmeister nicht wehren
konnte. Auf mich übten die Maschinen in der Hütte eine besondere Anziehung aus.
Die Pressluftdampfmaschine mit ihrem großen Schwungrad besuchte ich, wenn ich
nur konnte, und ihr zu Ehren trug ich auch Vaters verstopfte Pfeifenrohre so gerne hin,
die dann der Maschinist durch das Durchlassen von Dampf reinigte. Dass glühendflüssige
Schlacke durch starken Dampfstrahl in eine weiße, wollähnliche Masse zerrissen
wird, sah ich hier zuerst. Auf die Gicht kam ich häufiger, besser gesagt, stahl ich mich
oft hinauf. Beim Maschinisten stand ich so gut, dass er mich würdig fand, die kleine
Fördermaschine zu bedienen, welche die Aufgabemengen vom Hüttenplatz in einem
Aufzuge hinauf zur Gicht hob. Auch die Poche besuchte ich gerne und sah dem Spiel
der Wasser und Hämmer zu. Doch der liebste Platz für uns Jungen war die Schlackenhalde auf dem unteren Teil des Hüttenplatzes, wo dicht vorbei der Bach floss. Hier hausten wir, zumal in der Herbstzeit, wenn die Dunkelheit schon frühe eintrat, und brieten in selbstgefertigten, aus heißen Schlackenstücken zusammengesetzten kleinen Öfen die im Langenholz stiebitzten Äpfel oder die zu Hause entwendeten Kartoffeln, erzählten uns die schrecklichsten Geschichten und rauchten aus selbstgefertigten Pfeifen (ausgehöhlte Eicheln und Strohhalm) den väterlichen Tabak, bis wir plötzlich doch entdeckt, in eiliger Flucht Reißaus nehmen mussten. Durch die scharfen Schlackenspitzen waren unsere Schuhe stets zerschnitten. Es soll aber niemand über uns lose Buben zu Gericht sitzen. Aus
uns sind doch brauchbare Menschen geworden, die zum Teil auch noch heute ihren
Mann stehen, und wenn dem einen oder anderen dies im Vorstehenden geschilderte
Hütten- und Dorfleben zu Gesicht kommt, und er sich daran beteiligt fühlt, dann möge
er das als einen Gruß vom Verfasser aufnehmen.
Die alte Eisenhütte liegt wohl nun schon 40 Jahre still. Ein neuer gewerblicher Betrieb
hat sie abgelöst. Die ehemaligen Hüttenbaulichkeiten, Schlacken- und Sandhalden
sind bis auf einen geringen Rest verschwunden. Um das graue Gemäuer kreist zur
Nachtzeit die Fledermaus...
(aus 700 Jahre Neunkirchen 1988)

 

Quelle : books.google.com